Mittwoch, 23. Mai 2012



„Wir lieben Lebensmittel“



Mit solchen Slogans werben zahlreiche Supermarktketten für ihre Angebote. Doch warum landen dann tonnenweise einwandfreie Lebensmittel im Müll, wenn sie an anderer Stelle dringend gebraucht werden?

 

    Die gesamte Weltbevölkerung könnte mit den heutigen Möglichkeiten der Nahrungsmittelproduktion zwei- bis dreimal ernährt werden. Genug für alle. Und doch landet mehr als die Hälfte unserer Lebensmittel im Container, während in anderen Teilen der Erde Hunger und Unterernährung den Alltag bestimmen. Dabei könnten sich die Hungernden allein von dem, was wir in den entwickelten Ländern aufgrund des Überflusses wegwerfen, drei Mal ernähren! Doch wie kommt es überhaupt dazu, dass wir Lebensmittel als so selbstverständlich ansehen, dass es uns kein schlechtes Gewissen macht, ohne einen Gedanken an die bedürftigen Menschen mal das ein oder andere in die Tonne wandern zu lassen?

Ein entscheidender Grund für die mit Lebensmitteln gefüllten Container sind wir mit unserem Konsumverhalten. Die Rolle ausgewogener Ernährung in unserem Alltag hat in den letzten Jahrzehnten durch verstärktes Gesundheitsbewusstsein zunehmend an Bedeutung gewonnen. Diese Entwicklung ist verbunden mit steigenden Ansprüchen an die Qualität von Lebensmitteln, die der Verbraucher an die Supermärkte stellt. Der heutige Kunde erwartet von seinem Einkaufsausflug Vielfältigkeit, qualitativ hochwertige Produkte und verlässliche Angebote.

Unser Sortiment ist so vielfältig, wie die kulinarischen Wünsche und Ideen unserer Kunden.“ Reichelt über seine Unternehmensphilosophie   

    Während insbesondere Reichelt mit einem Sortiment, „so vielfältig, wie die kulinarischen Wünsche und Ideen unserer Kunden“ wirbt, haben auch andere Supermärkte das Verlangen der Verbraucher nach Vielfalt schon längst erkannt. Diese bieten ihren Kunden dann ein ausschweifendes Angebot verschiedener Marken sowie unterschiedlicher Sorten in allen denkbaren Geschmacksrichtungen, von denen selbstverständlich jedes einzelne jederzeit auf Vorrat verfügbar sein muss. Doch wie viele Käufer wären nötig, um alle Produkte am Ende des Tages vor der Mülltonne zu bewahren? Diese Zahl liegt sicher nicht in realistischen Bereichen.
Die Ansprüche an Qualität und Frische, die wir heutzutage insbesondere an Obst und Gemüse haben, sorgen auch nicht unbedingt für leere Container. Dadurch, dass wir nur an den frischesten und knackigsten Salaten interessiert sind und uns gleichzeitig zu schade sind, auch mal zu der an einigen Stellen braun verfärbten Banane zu greifen, werden wir beim Betreten eines Supermarktes jederzeit von einer perfekt wirkenden Obst- und Gemüsefrischtheke empfangen, die kaum Wünsche offen lässt. Die Produkte, die durch einige unschöne Stellen das Gesamtbild stören könnten und den Platz für besser verkäufliche Lebensmittel verschwenden, werden ohne zu überlegen aussortiert.
Des Weiteren wünscht sich der Konsument von seinem favorisierten Supermarkt Verlässlichkeit. Denn wer ist schon nach einem harten und langen Arbeitstag flexibel genug, sich auf das vorhandene Angebot umzustellen, das möglicherweise nicht ganz den eigenen Vorstellungen entspricht? Jeder wünscht sich, dass genau das, wonach man auf der Suche ist, jederzeit verfügbar ist. Und woher soll der Supermarktbetreiber schon wissen, wonach der einfallsreiche Kunde morgen oder übermorgen verlangen könnte? Also ist doch besser, immer alles dort zu haben, um die Käufer nicht an die Konkurrenz zu verlieren. So gibt es heutzutage auch Märkte, die bis 22 Uhr oder sogar 24 Stunden geöffnet haben. Glück für jedermann, der auch um 21:48 nicht auf seine ofenfrisch gebackenen Brötchen verzichten mag. Und schade für die Unmengen, die in der letzten Stunde keinen Abnehmer mehr finden und unweigerlich in den Container wandern.

    Trotz dieses ständigen Überflusses kommen Supermarktketten nicht auf die Idee, ihr Konzept verantwortungsbewusst umzustellen. Teilweise verständlich. Da uns Verbrauchern ein riesiges Angebot verschiedener Einkaufsmöglichkeiten geboten wird, können wir problemlos das Produkt unseres Verlangens eine Straße weiter kaufen. Die Umstellung des Vermarktungskonzeptes auf nachhaltigeres Wirtschaften würde also statt des Überdenkens eigener Verhaltensweisen eher zu einer Umorientierung des Konsumenten zur Konkurrenz führen, sodass der Konzern zwar ein eingeschränkteres Angebot und kleinere Mülltonnen hat, zugleich aber auch weniger Kunden. Wenig profitabel für Handelsketten, die Geld höher schätzen als ein gutes Gewissen.

Doch nicht nur wir selbst und die Supermärkte sind Schuld an dieser größenwahnsinnigen Verschwendung, auch sind die Hersteller verantwortlich dafür, dass ihre Produkte frühzeitig aus den Regalen sortiert werden müssen. Lebensmittel, deren Haltbarkeitsdatum überschritten ist, dürfen aufgrund von Bestimmungen der Gesundheitsbehörde nicht verkauft werden. Doch wofür steht eigentlich diese Zahl?
Das Mindesthaltbarkeitsdatum (vom Hersteller festgelegt) ist eine empfohlene Aufbrauchfrist für den Konsumenten. Genauer:  

„[der] Termin, bei dem ein Lebensmittel bei sachgerechter Aufbewahrung auf jeden Fall ohne wesentliche Geschmacks- und Qualitätseinbußen sowie gesundheitliches Risiko zu konsumieren ist.“ (aus Wikipedia)
Bis zu diesem Datum ist der Hersteller verantwortlich für die Qualität seiner Ware, sodass dieser Termin vorsorglich immer früher angesetzt wird.
Wir als Konsumenten vergessen dabei auch, dass es sich lediglich um die empfohlene Aufbrauchfrist handelt und das Produkt danach nicht sofort giftig wird.

Dies sind die entscheidenden Gründe für die mit meist noch essbaren Lebensmitteln gefüllten Container. Aber anders als den Müll bewachen zu lassen, ihn wegzuschließen oder den Müll zusätzlich in den Tonnen zu pressen, um die Nahrungsmittel für Bedürftige unbrauchbar zu machen, gibt es auch Supermarktketten, die sich für nachhaltigere Lösungen engagieren. Neben der Entscheidung, mit dem angesammelten Müll ein Gärsubstrat für die Verarbeitung zu Biogas herzustellen, die Produkte für einen geringeren Preis anzubieten oder die Container zugänglich zu machen, besteht zudem noch die Möglichkeit, die Lebensmittel an die Tafel zu spenden. Das seit 1993 bestehende Unternehmen „die Tafel“ empfängt die Nahrungsmittel von Supermärkten, wählt das noch Brauchbare aus und verteilt dies an Bedürftige. Mit diesem Konzept und 890 Stützpunkten konnten in Deutschland im Jahr 2008 schon etwa 1 Million Menschen versorgt werden (Märkische Allgemeine, 29.Januar 2009). 


ein Artikel von: Paula K.
Informationen über dieses Thema findest Du hier:
Leben vom Überfluss, WDR
Gefundenes Fressen - Leben vom Abfall, WDR
Frisch auf den Müll, ARD
Volkssport Containern: Vom Müll auf den Tisch, br

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