Samstag, 17. November 2012

Am anderen Ende der Welt




Am anderen Ende der Welt
Über die Erfahrungen, die ein Auslandsjahr mit sich bringt

Am Anfang eines jeden neuen Schuljahres treten viele Schüler ein Auslandsjahr an. Aber es gibt auch Schüler, die können sich das überhaupt nicht vorstellen. So ging es mir. Als ein Teil meiner Klassenkameraden verschwunden war, habe ich mich verwundert gefragt: Warum machen die das nur?
Warum soll man in ein weit entferntes Land reisen, wo man keine Person kennt? Warum soll man ein ganzes Jahr weggehen und kein bisschen Deutsch reden? Warum soll man eine Menge Geld dafür bezahlen, bei einer fremden Familie zu wohnen, die nicht seine eigene ist? Diese Gedanken gingen mir ständig durch den Kopf. Mitte Dezember haben mir meine Eltern plötzlich vorgeschlagen, ein halbes Jahr nach Neuseeland zu gehen. Meine erste Antwort war klar: Nein.
Dann habe ich aber noch mal nachgedacht. Meine schulischen Leistungen waren nicht besonders. Auf einmal habe ich gedacht: Es könnte doch auch ein Abenteuer sein, ganz alleine in ein Land zu gehen, das 18.000 Kilometer weit weg ist.
Ende Dezember war die Entscheidung gefallen: Ich gehe ein halbes Jahr weg. Die Frage war nur, ob ich so kurzfristig einen Flug und ein Visum bekomme. Aber auch das hat geklappt. Und dann ging alles ganz schnell. Am 24. Januar 2012 stieg ich in Berlin ins Flugzeug. Nur 25 Flugstunden trennten mich noch von dem, was sich letztendlich als eines der besten Jahre meines Lebens herausstellen würde.
                          
Ankunft in Auckland  
Als ich in Auckland, der größten Stadt Neuseelands ankam, waren 28 Grad. Ich war viel zu warm angezogen. Ich wurde von meiner Gastfamilie abgeholt, die auf den ersten Blick nett zu seien schien. Die Gastmutter war 48 Jahre alt, meine beiden Gastbrüder, die Ethan und Isaac heißen, waren 22 und 19 Jahre alt. Mein Gastvater 52.
Nach einer halben Ewigkeit kamen wir in meinem neuen Zuhause an. Sofort kam Ernüchterung auf. Mein Zimmer war sehr klein und direkt zur Straße gelegen. Morgens prallte die Sonne drauf, so dass man bei den hochsommerlichen Temperaturen nicht wirklich länger als bis zehn Uhr schlafen konnte. Der nächste Supermarkt war eine halbe Stunde zu Fuß entfernt und es war so gut wie unmöglich, die öffentlich Verkehrsmittel zu verstehen.
Die ersten Tage, bevor die Schule anfing, habe ich genutzt, um meinen Jetlag zu bewältigen. In Neuseeland ist die Uhr 12 Stunden weiter. Gewöhnungsbedürftig war, dass man in Neuseeland als Familie meistens vor dem Fernseher isst. Alle sitzen auf dem Sofa und haben das Essen auf dem Schoß. 
 
Skyline von Auckland bei Nacht



Die Schule
An meinem ersten Schultag war ich sowohl aufgeregt als auch nervös. Das Pakuranga College ist mit 2600 Schülern die zweitgrößte Schule in Neuseeland. Jedes Jahr werden dort ungefähr 100 internationale Schüler aus allen erdenklichen Ländern aufgenommen. Ich habe unter anderem Schüler aus Malaysia und Kolumbien kennengelernt.
Wir neuen Schüler wurden von den neuseeländischen Lehrern und dem Schulleiter „nose to nose“ begrüßt. Das heißt, man hat Nase an Nase gerieben. Das war ziemlich seltsam.  
 Da ich in die oberste Klasse ging, dem sogenannten Year 13, musste ich keine Schuluniform tragen. Einen Vorteil gegenüber der deutschen Schule habe ich sofort entdeckt: Man hat insgesamt nur 5 Fächer, die man sich allesamt frei aussuchen kann. Das heißt es gibt keine Pflicht, eher unbeliebte Fächer wie Mathematik oder Biologie zu wählen.
Die ersten paar Wochen sind sehr schnell vergangen. Ich habe viele neue Leute kennengelernt, auch einige Deutsche, von denen es noch ungefähr 20 andere in meiner Schule gab. Leider habe ich mich in meiner  Gastfamilie nicht wohl gefühlt. Das lag unter anderem daran, dass sie mir Freiheiten verweigerten, die in Deutschland ganz selbstverständlich für mich waren. Darum habe ich mich bei der Schulleitung um einen Wechsel bemüht, der aber erst nach den Osterferien möglich war.
In der Schule lief alles gut. Es ist ein schönes Gefühl, in die Schule zu gehen und zu wissen, dass man sich keine Sorgen wegen seiner Leistung machen muss. Man wurde für alles gelobt. Es wurde eher als ein Bonus angesehen, als ein zu erbringender Standard, wenn man sich im Unterricht beteiligte. 
Ein ganz besonderes Erlebnis war, als im Geschichtsunterricht das Thema „Drittes  Reich“ behandelt wurde. Da ich der einzige Deutsche in diesem Kurs war, war es ein sehr seltsames, unangenehmes Gefühl, als einem der Lehrer etwas über die nationalsozialistischen Verbrechen erzählt hat. In einer gewissen Weise hat man sich schuldig gefühlt, auch wenn das mit einem eigentlich nichts zu tun hat.
               
                        
 Die Südinsel

Der Franz-Josef-Gletscher: Einer der tiefsten Gletscher der Welt




In den Osterferien bin ich mit einer Gruppe von Schülern zur Südinsel gefahren. Sie ist wenig besiedelt. Die Tour begann in Christchurch. In der Nähe dieser  Stadt gab es vor eineinhalb Jahren ein schweres  Erdbeben. Die Innenstadt war immer noch komplett abgesperrt, überall sah man eingestürzte und komplett zerstörte Gebäude. Das war beeindruckend. Später sind wir durch die Southern Alps auf die andere Seite an die Tasmanische See gefahren. Auf dieser Reise habe ich 3.500 Meter hohe schneebedeckte Berge gesehen, die direkt an Strände münden. Gletscher, die praktisch auf Meereshöhe waren. Dichte Wälder, in denen Pinguine leben, die das Meer als Lebensraum aufgeben haben. Und neuseeländische Ureineinwohner, die sich Maori nennen. Ich habe Dinge ausprobiert, von denen ich nie geglaubt hätte, dass ich mich das trauen würde: zum Beispiel Sky-Diving und Bungee- Jumping.


  Der Kiwi 
Zurück in Auckland, habe ich endlich meine Gastfamilie gewechselt. Die neuen Gasteltern waren viel netter. Sie waren 26 Jahre jung und schon einmal um die Welt gereist. Da ich ihr erster Gastschüler war, wussten sie  nicht, wie sie mit mir umgehen sollten und haben mir jeden Wunsch von den Lippen abgelesen.
Mitte Mai wurde es auf einmal sehr kalt. Der Winter begann. Ich war nicht auf kaltes Wetter eingestellt und wurde daher kalt überrascht. Morgens war die Temperatur zum Teil auf Null Grad gefallen.
Im  Juni realisierte ich plötzlich, dass mir nur noch drei Wochen blieben. Ich war einerseits glücklich darüber, aber andererseits auch sehr traurig. Die letzten Wochen vergingen viel zu  schnell. Und schon war mein letzter Schultag da. Ich wurde sehr freundlich verabschiedet. In  jeder Unterrichtsstunde, also in jedem der fünf Fächer, haben wir zusammen gefrühstückt. Als besonderes Abschiedsgeschenk hat mich mein Gastvater in den Zoo von Auckland eingeladen. Dort habe ich meinen ersten Kiwi – das  Wappentier des Landes - gesehen. Es ist ein kleiner, brauner, flugunfähiger Vogel mit langen Beinen und langem Schnabel, der vom Aussterben bedroht ist. Er ist nachtaktiv, fast blind und verlässt sich auf seine gute Nase und sein Gehör. Die Neuseeländer sind ganz verliebt in ihn. Sie bezeichnen sich übrigens auch gerne selbst als „Kiwi“. 
Ich habe neue Sitten und viele nette Leute kennengelernt. Ich habe mein Englisch verbessert, bin eigenständiger geworden. Wie gut, dass ich meine anfänglichen Zweifel überwunden habe.
Oscar Plarre

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